Veröffentlicht: 03/2022

... und futsch ist die Freude Deiner Website-Besucher

Ich muss aus beruflichen Gründen viel im Internet surfen. Habe Trends kommen und gehen sehen. Doch in letzter Zeit könnte man meinen, ein Grossteil der Websites ist von einem Virus befallen. Oft will ich nur den Stecker ziehen und sehen, wie der Monitor in erlösende Dunkelheit übergeht. Von der Seele geschrieben: die nervigsten Eigenschaften auf Websites - und warum es viele solcher Websites gibt.

Es geht auch ohne Cookies

Cookies sind harmlos und oft notwendig, damit die Website ihre Funktionen erfüllen kann. Doch die meisten sind überflüssig wie ein Kropf. Webhosting kostet heute kein Vermögen. Wenn ein Unternehmen sich kein werbefreies Hosting leisten kann, sollte es vielleicht gar keine Website haben. Aber nein, jede Kischi-Website muss Dich verfolgen, genau beäugen, wo Du hinklickst, damit sie Dir "personalisierte Werbung" zeigen kann (auf die Du genauso gut verzichten willst wie auf unpersonalisierte). Dazu werden 100 obskure Tracker von 1000 Ad-Servern in Timbuktu bemüht. Ertrag für den Webmaster: Centbeträge, wenn überhaupt.

Muss man seine User für ein paar Nutscherl sezieren? Zu was braucht eine statische Seite Cookies? Alle wollen "deine Nutzererfahrung optimieren". Das kann man mit Menschenverstand besser erreichen als mit Cookies. Die EU hat dem Cookie-Exzess eine Auflage gestellt: die Pop-ups zum "Cookies verwalten". Und die sind oft so nervig wie 99% der Cookies überflüssig. Die "optimierte Nutzererfahrung": man wird sofort von einem Riesenpanel angesprungen, wo man entweder des Friedens willen "alle akzeptieren" kann, der Knopf dazu ist natürlich auffällig, oder man müht sich durch alle Cookie-Setzer und wählt sie einzeln ab. Besonders dreist ist ja diese Masche: "Wenn Du diese Seite nutzt erklärst Du Dich mit unseren Cookies einverstanden". Hey, nein!

Der Gesetzgeber hätte alle Cookies der Werbeindustrie verbieten sollen. SO schützt man die User. Wer personalisierte Werbung sehen will (was ist das überhaupt?), kann einen dezenten(!) Button klicken und sich verkaufen, und der Rest von uns ist erlöst von dem Mist.

Massen"taugliche" Content-Management-Systeme

Schau bei jeder Web-Seite erstmal aufs Firmenlogo, damit Du weisst, auf wessen Terrain Du bist. Dieselben Layouts und derselbe Einheitslook. Viele Websites werden nicht "entwickelt", sondern als Stangenware lieblos mit abgelackerten Massenproduktions-Systemen zusammengebaut. "In 10 Minuten zur eigenen Website ohne Programmierkenntnisse". So sehen sie auch aus. Und alle paar Jahre erfinden die Systeme (alle auf einmal) einen neuen Stromlinien-Trend. Naja, wenn's das System so vorgibt, und die anderen dasselbe produzieren, kann man nix falsch machen, oder?

Viele Webmaster haben Null Ahnung von Programmierung. Die können nur mit so einem System, oder es gibt gar keine Website. Die besteht dann aus Containern die Container enthalten welche Container enthalten. Der Bildschirm ist vollgestopft mit nervigen Beigaben, Ladezeit und Usability sind der Horror, den Code willst Du gar nicht sehen. Und der teuer zahlende Kunde ist zufrieden.

Dazu kommen noch die Marketing-Leute mit ihrem blinden Vertrauen auf "Bewährtes" und sogenannte Usability-Studien. Was haben diese Leute für ein Bild vom eigenen Unternehmen und von den potentiellen Kunden? Und schlimm wird's, wenn genau diese Leute dann auch selbst Hand anlegen und die Website produzieren. Da paart sich dann die Angst etwas falsch zu machen mit völliger Unfähigkeit ein Webprojekt zu erschaffen. Man verwendet dann - Du errätst es - ein "bewährtes" CMS. Und da ist sie, die nächste Webseite mit dem Stock-Foto oben, weisse Schrift drauf, darunter Container mit Containern.

Stock-Fotos

Team im Büro am Konferenztisch, Durchschnittsalter 25, alle in öder Business-Kleidung, auf dem Tisch Kaffeetasse, MacBook, Stift und Block, Bild überbelichtet, alle lächeln in alpina-weiss. Oder: Händeschütteln, Nahaufnahme, Anzug und Manschette, beide Hände männlich. Oder: Gebäude mit Glassfassade, der Himmel spiegelt sich darin, davor die Businessfrau mit Kostüm + übergrosser Sonnenbrille. Das Web ist voll mit gekauften Klischeebildern, und die Stockfoto-Agenturen verdienen sich golden mit diesen affigen Szenen.

Keiner will was falsch machen beim Image-Bau. Man will Kompetenz vermitteln. Business-Feeling eben. Egal, wenn die Konkurrenz dasselbe unrealistische Bild verwendet (oder ein ähnliches - Agenturen verkaufen ganze Serien mit minimalen Unterschieden). Wahrscheinlich gibts eine Marketer-Oligokratie, alle in grauen Anzügen, von dem sich jeder beraten lässt. Was haben solche Bilder mit dem Unternehmen zutun, auf dessen Seite sie glänzen?

User suchen Authentizität, keinen Lack. Und Bilder sind immer Lack, egal welche. Texte sind wichtiger. Aber es stimmt: mit solchen Bildern kannst Du nix falsch machen. Deine Besucher werden sich nämlich nach Verlassen Deiner Website nie mehr daran erinnern. Es ist also keiner mehr da, der Dir einen Fehler ankreiden könnte.

Ausgeleierte Texte und Wörter

"Kompetent" und "innovativ" und "Team" und "Wir" und "Zukunft" und "Erfahrung". "Wir sind ein kompetentes innovatives Team mit Erfahrung in einem zukunftsorientierten Unternehmen". Schön. Den Satz haben Deine Besucher sicher noch nirgends gefunden. Wetten, dass die Konkurrenz (oft wortwörtlich) dasselbe von sich behauptet? Oder steht auf deren Website etwa "Wir sind doof und auf dem Stand von 1907"? Bestimmte Phrasen sind wohl Pflichtvorgabe in den oben erwähnten Contentsystemen. Anders ist die Masse an solchen Plattheiten nicht zu erklären.

Online-Lesezeit ist kostbar. Der User scannt zuerst, und entscheidet dann, ob er auch liest. Man hat herausgefunden, dass User beim Antreffen bestimmter Standard-Phrasen schlagartig ihre Aufmerksamkeit verlieren oder ganz abbrechen. Verständlich. Die brauchbare Information in solchen Sätzen ist gleich Null. Es interessiert niemanden, was Du bist, sondern was Du machst. Erst wenn der User meint, Du machst das, was er braucht, wird er (vielleicht) eine Minute seiner Online-Zeit opfern und das Beiwerk kurz überfliegen.

Und nicht zuletzt, das "Jetzt". Jetzt kaufen, jetzt anmelden, jetzt Vorteile sichern. Dieses penetrante "Jetzt" klebt überall wie Kaugummi auf der Strasse und nervt fürchterlich. In der Fernsehwerbung genauso wie auf unzähligen blauen oder rosafarbenen Buttons im Web - "jetzt". Der Anbieter will Conversions, also Käufe und Neukunden, jetzt gleich, das ist verständlich. Sogenannte Calls-To-Action (=Aufrufe zum Handeln) sind grundsätzlich ok, zum Beispiel um den User auf ein besonderes Angebot aufmerksam zu machen. Aber bitte "jetzt" einmal überlegen, wie oft Dich dieses Wort an einem Tag aus allen Ecken anspringt. Man könnte eine Wort-Allergie bekommen.

Penetrante Störungen

Du bist frisch auf einer Website oder gerade in einen Text vertieft, und das hier passiert. Keine Sorge, die Demo ist harmlos, und nach drei Sekunden vorbei.

Der Spuk ist nicht beendet, wenn Du das letzte Popup entnervt geschlossen hast. Der jüngste Trick ist nämlich der: die Seite wartet bis Du es wagst, sie verlassen zu wollen. Sobald Du die Maus verdächtig weit nach oben bewegst, macht es abermals Plopp: Hab ich Dich erwischt! (Keine Sorge, das führe ich nicht vor, Du kannst frei gehen). Und das Popup fragt, ob Du sicher bist, dass Du die Seite verlassen willst, und wenn ja, warum. Du sollst jetzt Rede und Antwort stehen. Erwartet der Betreiber etwa, dass Du für den Rest Deines Lebens dort bleibst?

Wie hoch schätzt Du die Erfolgsquote solcher Popups? Die meisten erfahren SOFORT einen harten Schlag aufs "X" und das wars. Der User liest nicht einmal, um was es in dem Popup geht. Warum realisieren viele Anbieter nicht, dass diese Dinger nicht nur so gut wie nie nützen, sondern absolut kontraproduktiv sind? Der User beschäftigt sich mit den Inhalten - was besseres kann dem Anbieter nicht passieren - und man stört ihn dabei! Die Chance, dass die Störung nachhaltig ist, ist enorm.

Nein, man muss den User ernsthaft gewinnen, daran führt kein Popup vorbei. Wie? Indem man überzeugende Inhalte mit echtem Mehrwert präsentiert. Zweitens: man präsentiert überzeugende Inhalte mit echtem Mehrwert. Verstanden?

Den User veräppeln

Der User liest auf einer Website die ersten Zeilen eines interessanten Artikels. Nach ein paar Sätzen verschwimmt der Text und wird von einem Hinweis abgelöst, der sagt: Hier klicken, um den vollen Artikel zu lesen. Der User klickt, aber statt dem Text in voller Länge folgt ein zweiter Hinweis, der sagt: Um den ganzen Artikel zu lesen, klicke hier um Dich zu registrieren. Klar, man abonniert ja auch eine Zeitung, weil man in der Tanke mal eine interessante Schlagzeile darauf gesehen hat. Oft hat der Anbieter den Hinweis unterhalb der Scrollgrenze positioniert, um den Beschiss zu verstecken.

Der User beginnt sich zu registrieren - und ganz unten im Formular wartet eine Armada an Zusatz"leistungen", denen er mit seiner Registrierung automatisch zustimmt. Der Anbieter darf jetzt ab sofort Newsletter schicken, die Userdaten weiterverarbeiten, dem User persönliche Angebote schicken, die Daten an Dritte mit berechtigtem Interesse weitergeben und weitere Formen des Cyberstalking betreiben. Wenn der User das nicht will (sei gewiss: er will es nicht), muss er in einem Extraschritt, später beim Stalking, sein Einverständnis widerrufen.

Auch beliebt: auf der Seite ein Sonderangebot "Nur heute 15% Rabatt auf XY" mit Jetzt-klicken-Button. Der User schaut morgen wieder vorbei. Auf der Seite ein Hinweis: "Nur heute 15% Rabatt auf XY". Der User kommt in einer Woche, drei Monaten oder zehn Äonen wieder. Dasselbe frische Angebot. Wenn der User jetzt nicht kapiert, dass nur noch ein Stück auf Lager ist, selbst schuld.

Oft zu beobachten: aussen Hui, innen Pfui. Tolles Design, feinste Grafik, alles modern und sexy. Ziel erreicht, der User ist beeindruckt. Und dann funktioniert die Seite nicht richtig, sie ruckelt hier und es hapert dort, sie macht in diesem Browser diese Zicken und auf jener Plattform funktioniert jenes nicht. Der Anbieter hat nicht gespart an der Optik, aber die technische Funktionstüchtigkeit ist wohl wetterabhängig. Sanierung der Baustelle auf ungewiss verschoben, denn die Hochglanzfotos waren sehr teuer.

Die Kreativität beim Veräppeln der User ist grenzenlos. Die Anbieter sollten aber kapieren, dass das Volk dazulernt. Allgemein kann man sagen: alles, was negativ überrascht, ist Veräppelung. Besucher auf falsche Pfade locken. Dem User nicht sofort glasklar aufzeigen, was geboten wird. Schlampigkeit und daraus resultierende Fehlfunktionen. Unechte Köderversuche. Click-Baits. Aufzwingen von unerwünschten Leistungen. 'Wir respektieren Deine Privatspäre' - aber verhasste Werbe-Cookies setzen. Die Liste ist unvollständig.

Was ist los mit dem modernen Web?

Viele Features sind oft Teil der Content-Management-Systeme zum "professionellen Entwickeln" von Websites, und der Verwender des CMS hat keine Wahl und/oder keine Ahnung, wie er es anders machen soll. Es gibt Milliarden Websites. Nicht jeder verantwortliche Webmaster ist ein ausgebildeter Webentwickler.

Man läuft, wie so oft, der Masse nach, aus Angst etwas falsch zu machen oder eine Gelegenheit zu verpassen. Die anderen machen es genauso, also muss es gut sein. Man verwechselt ein Phänomen (Ist) mit einem Ideal (Soll).

Vom üblichen Wettrüsten des Mainstream-Kapitalismus ist auch das Web nicht verschont. Wenn die Konkurrenz 10 Werbebanner und 5 Popups hat, liegt die Untergrenze beim eigenen Projekt bei 11 Bannern und 6 Popups.

Das Schöne ist, dass jeder im Web publizieren kann. Das Schlimme ist, dass es auch jeder tut. Nicht jeder kann eigene, nennenswerte Inhalte bieten. Also kopiert jeder von jedem. "Content-scraping" nennt sich das. Und das ganze Drumherum wird dann gleich mitkopiert.

Es geht die Mär herum, dass man im Web reich wird, ohne wirklich etwas zu bieten. Das Web ist für viele (leider oft auch Unternehmen) nur eine Tafel, sinnfreie Werbung zu platzieren. Inhalte und Aufmachung rund um die Werbung sind zweitrangig.

Die letzte Instanz ist der User. Doch der gibt genervt auf anstatt ehrliches Feedback. Recht so. Und wenn die Plattformhersteller weiterhin ihre Produkte gegen solches Ungemach rüsten, erledigt sich das Problem hoffentlich von selbst.


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